Von der Einladung, seinen Weg aufs Neue zu gehen

Eine Buchbesprechung zu Peter Kösters „Das Matthäus-Evangelium. Eine geistliche Auslegung auf fachexegetischer Grundlage“

von Sr. Clara Sonntag

Per ducatum evangelii pergamus itinera eius – gehen wir unter der Führung des Evangeliums seine Wege. (RB Prol 21)

Wie ein Prägemal drückt Benedikt im Prolog seiner Regel das Programm eines monastischen und christlichen Lebens in die Herzen seiner Brüder und Schwestern.

Das „Gehen unter der Führung des Evangeliums“ ist natürlich keine spezifisch benediktinische Herausforderung, sondern sie betrifft alle, die von diesem Jesus, von dem die Evangelien berichten, bewegt oder fasziniert sind und sich herausgefordert wissen, ihm glaubend zu folgen.

Einer, der viele Jahre lang Menschen in ihrer Suche nach dem eigenen Glaubensweg begleitet hat, ist der Jesuit Peter Köster. Er hat etwas erfahren von der „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ dieser Frauen und Männer, die von Jesus ergriffen sind und unter der Führung des Evangeliums zu gehen und zu leben versuchen. Das klingt diskret an in seinen bisherigen Veröffentlichungen, insbesondere in den geistlichen Auslegungen der Evangelien nach Markus, Lukas und Johannes. Vor kurzem ist nun auch seine Auslegung der umfangreichsten Jesustradition, des Matthäusevangeliums erschienen.

Nach dem Spezifischen des Matthäusevangeliums fragend, erscheint es Köster „für uns, die heute mehrheitlich in einem nachchristlich geprägten Umfeld leben“, als wegweisend, „wie Matthäus nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n.Chr.) durch sein Evangelium seiner Gemeinde eine neue identitätsstiftende Grundlage geschaffen hat. Der Evangelist bereitet seine im Judentum verwurzelte Gemeinde darauf vor, umzudenken und sich in der veränderten Diasporasituation auf Neues einzulassen.“  (Köster, 10)

Identitätsstiftend kann das Evangelium auch für heutige Leser:innen werden. Perikope für Perikope legt Köster es für uns Lesende aus, ordnet das Erzählte vor dem Hintergrund exegetischer Erkenntnisse kurz und verständlich ein und eröffnet angesichts des Erfahrungshorizontes heutiger Menschen Perspektiven für den persönlichen Glaubensweg.

Während ich mit Kösters Hilfe dem Matthäusevangelium neu begegne, kommt mir in den Sinn: Ja, es stimmt, Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen heute, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Jesu. (Gaudium et spes)

Denn es sind die Geschichten dieser Freundinnen und Freunde Jesu, die mit ihren Erfahrungen zu Weggefährt:innen auf meinem eigenen Weg der Nachfolge werden können:

Geschichten … wie die des enttäuschten und verunsicherten Josef, des Verlobten Marias, der nicht wirklich weiß, was nun auf ihn zukommen wird, der nur den nächsten Schritt kennt und dennoch offen bleibt für Gottes Wirken;
… wie die der Fischerbrüder, die sich von der ersten Begegnung an von Jesu Liebe so sehr angenommen wissen, dass sie frei werden, umzukehren und den Weg mit ihm zu gehen – in der großen Zuversicht, dass sie auch zum Segen für andere werden können;
… wie die derselben Jünger, deren Kleinglaube ihre eben gewonnene Zuversicht auch schon wieder infrage stellt, wenn Jesus ihre gewohnten Denkmuster unvorhergesehen aufbricht.

Köster stellt sich seinen Leser:innen dann mit Gedanken wie diesen zur Seite: „Immer wieder spüren wir, dass es uns aufgegeben ist, zur anderen Seite, zu einem Ufer aufzubrechen, das jenseits unserer bisherigen Erfahrungen liegt. In solchen Situationen des Übergangs können dann plötzlich … Kräfte uns mit elementarer Wucht bedrohen und …  Angst auslösen … In diesen Momenten angstvoller Bedrängnis und Erschütterung, in denen wir glauben, zugrunde zu gehen, können wir auf den Grund stoßen, der uns aus aller Gottvergessenheit herausreißt.“ (Köster, 99)

Schließlich wird Jesus selbst zu meinem Gefährten, einem „Gott-mit-uns“,
… wenn er seine Jünger:innen und auch mich ermutigt, mich in Gottes Heilsplan für die Welt einbeziehen zu lassen;
… wenn er etwa einräumt, dass es meist viel Zeit und Geduld braucht, dass der gute Same aufkeimt und der Sauerteig seiner frohen Botschaft in der Welt, ja im Gemenge menschlichen Miteinanders zur vollen Reife gelangt;
… wenn er in der Heilung so vieler Menschen die bedingungslose Zuwendung Gottes und seine Vergebungsbereitschaft sichtbar macht;
… indem er die Jünger:innen wie auch mich durch seinen Weg bis zum Kreuz mit der Konsequenz der Nachfolge konfrontiert.  

Es ist schließlich derselbe Jesus, der seinen Jünger:innen damals und mir heute im Ostergeschehen deutlich macht: „Über allem Versagen und Schuldigwerden bricht die Nachfolge nicht ab, sondern sie kann erst jetzt richtig beginnen. Der Auferstandene sammelt seine durch das Kreuzes-Geschehen entwurzelte und verstreute Jüngerschaft wieder. Er stellt die Gemeinschaft mit denen wieder her, die ihn im Stich gelassen haben und bestellt sie zu Zeugen seines Weges und seines Evangeliums.“ (Köster, 281)

Als der Engel am Grab den Frauen am Ostermorgen begegnet, ermutigt er sie: „Geht schnell und sagt seinen Jüngern: Er ist auferweckt von den Toten, und siehe, er geht euch voraus nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen.“ (Mt 28,7)

Am ehesten zu verstehen ist das Matthäusevangelium von seinem Ende her. Besser gesagt von Ostern her, dem Ereignis, das einen Neuanfang markiert. Für Peter Köster liegt das Geheimnis der Freundschaft Jesu mit uns gerade in der Einladung, seinen Weg aufs Neue zu gehen. „Ich verstehe meine Auslegung als einen Versuch, den Leser/die Leserin an die im Text verborgene Einladung heranzuführen – in der Hoffnung, sich von ihr berühren und ergreifen zu lassen.“ (Köster, 10)

Wie war es wohl für die Jünger:innen damals, seinen Weg mit österlichen Augen neu zu gehen? Ich verstehe die kommende Osterzeit auch als eine Einladung, sich von diesem Evangelium heute neu ergreifen zu lassen.

„Gürten wir uns also, und gehen wir unter der Führung des Evangeliums seine Wege.“ (RB Prol 21)

Sr. Clara Sonntag

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Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Heidi meise

    Sehr schön, vielen Dank für diese kostbare Informationen.
    Mit herzlichen Grüßen
    Heidi Meise

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